Immer wieder polarisiert die Behauptung einer künstlichen Verknappung der Intensivbetten. Und somit weniger Kapazitäten für neue Covid Patienten. Dieser Gedanke ist darauf zurückzuführen, dass nicht hinterfragt wird, warum es denn weniger Betten gibt. Viel einfacher scheint es also zu behaupten, dass die Regierung Interesse daran hat, eine möglichst hohe Auslastung herbeizurufen, um die bisherigen Maßnahmen zu rechtfertigen. Und die Krankenhäuser wollen mit Bonus kassieren mit der hohen Auslastung.
Nun so einfach ist es leider nicht. Lasst uns einmal einsteigen in die Welt der Krankenhäuser und der Berechnung freier Intensivbetten.
Quelle: Bundesministeriums für Gesundheit , Intensiv-register , Stellungnahme zu Schrappe
Samuel und der #DIVIgate "Hype"
Nüchtern betrachtet, geht man bei einem -gate davon aus, dass brisante Informationen geleakt wurden. Also Daten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Doch stimmt das überhaupt? Und was meint Samuel eigentlich mit dem DIVIgate? Schauen wir uns das der Reihe nach an.
Was ist DIVI?
DIVI ist die Abkürzung für die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Das Intensivregister erfasst tagesaktuell die Anzahl der betreibbaren Intensivbetten und wie viele davon von Covid-19-Patienten belegt sind.
Was ist eigentlich passiert?
Samuel Eckert, ein bekannter Verschwörungsideologe, gab in einem Video an, dass ihm Daten bekannt sind, die einen Skandal aufdecken. Diese Daten kommen von den öffentlichen Daten des DIVI. Es ist also kein Hexenwerk und jeder Mensch, mit ein paar Programmierkenntnissen, kann diese ebenso abgreifen und aufarbeiten. Das hat Samuel angeblich getan und einen Server aufgesetzt. Nun regt er sich im Video auf, dass Krankenhäuser ihre Statistik fälschen um "Geld vom Staat zu akquirieren", "zu profitieren" oder "abzukassieren". So die originalen Formulierungen von Eckert. Sehr harte Anschuldigungen, die wohlüberlegt sein sollten, oder sind sie das etwa nicht?
Worum geht es Samuel denn überhaupt?
Es geht um die Ausgleichszahlungen für Krankenhäuser, die bei einer bestimmten Auslastung (75%) gezahlt werden. Die genaue Berechnung ist recht kompliziert aber nachzulesen im Link (oben) oder per Selbstrecherche.
In §21, Absatz 1a, des Krankenhausfinanzierungsgesetzes sind eine Reihe von Voraussetzungen genannt, die Krankenhäuser erfüllen müssen, um eine Ausgleichszahlung beantragen zu dürfen. Eine Intensivbetten-Auslastung von 75 Prozent an sieben aufeinanderfolgenden Tagen ist eines von mehreren Kriterien, allerdings nicht die Intensivbetten-Auslastung in einem einzelnen Krankenhaus, sondern die des gesamten Landkreises. Und auch nur in Landkreisen bzw. kreisfreien Städten, in denen die 7-Tage-Inzidenz über 70 liegt. Am 5. Mai wurde diese Grenze auf über 50 gesenkt.
Kurz zusammengefasst: Krankenhäuser bekommen in manchen Fällen Ausgleichszahlungen für Einnahmen, die ihnen entgangen sind, weil sie Operationen verschieben, um Covid-19-Patienten betreuen zu können.
DIVI Daten und Server
Schade, dass Samuel seinen Server nicht veröffentlicht. Somit hat nur er Zugriff auf die Diagramme und man nicht überprüfen, ob er Fehler begangen hat beim Abgreifen oder Aufarbeiten der Daten. Angenommen seine Diagramme sind korrekt, so lassen diese im natürlich viel Interpretationsspielraum zu. Denn es gibt diverse Gründe warum weniger Betten zur Verfügung stehen und nicht nur der von ihm einzige erwähnte Grund der Gewinnmaximierung der Krankenhäuser.
Samuels Argument für den #DIVIgate
Doch womit begründet er seine Verschwörung? Ursprung findet das Spektakel im Thesenpapier des Dr. Schrappes. Dieses Thesenblatt ist schon in der Vergangenheit aufgefallen nicht gut genug zu recherchieren und über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Auch dieses Mal wurden einige Fehler begangen und Berechnungen erhielten nicht die notwendige Sorgfaltspflicht. Zum Beispiel war die Rede von 44% Intensivpatienten. Leider ein Rechenfehler, der dann erst nachträglich im Update des Thesenpapiers auf die korrekten 28% korrigiert wurde. Schade. Aber so etwas ist die Grundlage der Querdenker? Okay.
Die Wahrheit hinter #DIVIgate
Erst einmal muss man sagen ein sehr reißerisches Video. Nicht ohne Grund hat es deshalb eine sehr hohe Klickzahl. Doch die Aussagen und Behauptungen werden nicht weit genug hinterfragt. Nur Hetze auf Politik und Krankenhäuser als Grundlage für ein Video zu nehmen, ist höchst fragwürdig. Jeder, der sich kritisch mit einem solchen Thema auseinandersetzen möchte, dem sollte klar sein, dass Samuel kein Interesse hat die wahren Gründe für die starken Schwankungen der Intensivbetten-Statistik zu erfahren. Lieber steigert er sich in seine Verschwörung hinein und hangelt sich von Stadt zu Stadt durch.
Ach übrigens wieso stellt Samuel eigentlich nur Städte vor und keine Landkreise?
Stadt oder Landkreis oder mir doch egal
Die Zahlen werden im öffentlich einsehbaren Dashboard des DIVI-Intensivregisters allerdings nicht pro Krankenhaus, sondern pro Landkreis angezeigt. Manchmal gibt es in einem Landkreis nur eine Klinik mit Intensivbetten, manchmal aber eben auch mehrere. Also macht Samuel den Fehler Städte zu propagieren, allerdings über Landkreise zu sprechen. Also wieder einmal schlecht informiert und recherchiert vom Querdenker Samuel.
Krankenhäuser machen eher Verluste
Am Beispiel Klinikum Erding sehr gut zu sehen:
Das Klinikum hat vom 4. Dezember 2020 bis zum 29. April 2021 rund 3,2 Millionen Euro an Ausgleichszahlungen erhalten. Das jährliche Gesamtbudget des Klinikums liegt bei rund 80 Millionen Euro. Der Belegungsrückgang seit Ausbruch der Pandemie liegt im Durchschnitt bei rund 20 Prozent. Die Zahlungen reichen daher nicht aus, die ausbleibenden Erlöse aufgrund des derzeitigen Belegungsrückgangs und der Verschiebung planbarer Behandlungen aufzufangen.
Bedeutet also, dass auf lange Sicht viele Einnahmen wegbrechen durch Corona. Es handelt sich daher um einen Teilersatz für entgangene Einnahmen. Schwer zu sagen wie lange Krankenhäuser mit den laufenden Kosten das durchhalten werden.
Generelle Gründe für den Rückgang der Intensivbetten
Für den Rückgang der Intensivbettenzahl gibt es mehrere Gründe. Ein Intensivbett ist nicht einfach nur das vorhandene Bett mit Beatmungsgerät. Es geht um die Anzahl tatsächlich betreibbarer Betten - auch im Krankenhausfinanzierungsgesetz steht dieser Begriff. Das DIVI erklärt auf seiner Website, was darunter zu verstehen ist:
Zitat:
"Ein intensivmedizinischer Behandlungsplatz gilt als betreibbar/betriebsfähig, wenn [...] jeweils ein vorgesehener Raum, funktionsfähige Geräte und Material pro Bettenplatz, Betten, und personelle Besetzung mit pflegerischem und ärztlichem Fachpersonal vorhanden sind und eingesetzt werden können."
Außerdem wird dabei noch nach den drei Versorgungsstufen low-care, high-care und ECMO unterschieden. ECMO ist eine Behandlungsmöglichkeit, die bei Patienten mit schwerem Lungenversagen angewendet wird. Eine Maschine reichert das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff an, man könnte auch von einer externen Lunge sprechen.
Intensivbetten sind also immer betreibbare Betten. Also muss auch ausreichend Personal zur Verfügung stehen. Ein Intensivbett ohne Personal oder vice versa wird also in der Statistik rausgerechnet. Und das ist auch gut so. Genau DAS wäre sonst ein Fälschen von Zahlen.
Untergrenzen verändern sich
Die Pflegepersonal-Untergrenzen-Verordnung (PPUGV) regelt wie viel Pflegepersonal für die Betreuung eines Intensivpatienten vorhanden sein muss. Als die Verordnung 2019 in Kraft trat, galt für die Intensivstation das Verhältnis 2,5 Patienten pro Pflegekraft in der Tagschicht und 3,5 in der Nachtschicht.
Nach Beginn der Corona-Pandemie waren die Pflegepersonaluntergrenzen auf den Intensivstationen bis zum August 2020 ausgesetzt, um auf besondere Belastungen vorbereitet zu sein. Zwischenzeitlich konnten Intensivpatienten auch von weniger Personal betreut werden als eigentlich gesetzlich vorgeschrieben.
Von Mitte März bis Ende April stieg die Zahl der betreibbaren Betten auf mehr als 30.000 an. Am 1. August 2020 wurden die Untergrenzen wieder in Kraft gesetzt. Seit dem 1. Februar 2021 gilt ein Schlüssel von 2 bzw. 3 Patienten pro Pflegekraft.
Mehr Personal für ein einziges Intensivbett bedeutet eine sinkende Zahl der betreibbarer Intensivbetten. Damit ist der Rückgang der betreibbaren Intensivbetten im August 2020 sehr offensichtlich. Genau nämlich als die Pflegepersonal-Untergrenzen-Verordnung wieder in Kraft trat. Also Querdenker müsste man schon sehr blind sein, um solche Gesetzesänderung komplett außer Acht zu lassen. Oder wohl eher mit voller Absicht.
Der Rückgang der betreibbaren Intensivbetten im November hat dagegen nach Ansicht der Deutschen Krankenhausgesellschaft mit der Corona-Pandemie selbst zu tun. Viele Pfleger*innen erkrankten in der zweiten Welle selbst an Corona oder mussten in Quarantäne. Zum anderen habe sich das zum Betrieb von Intensivbetten zur Verfügung stehende Personal durch den hohen Pflegeaufwand von Covid-Patienten verringert. Diese Gründe seien vor allem für den stetigen und deutlichen Rückgang der Intensiv-Kapazitäten im November 2020 verantwortlich.
Geänderte Erfassung der Intensivbetten
Bereits im August 2020 kam es im DIVI-Register zu einem Rückgang der Intensivbettenzahl. Der Grund dafür ist die Änderung bei der Abfrage der intensivmedizinischen Kapazitäten.
Seit dem 4. August wird nur noch die Zahl tatsächlich betreibbarer Betten abgefragt. Außerdem werden seitdem die Notfallreservekapazitäten separat abgefragt.
Covid-19-Patienten nur kleiner Teil der Intensivpatienten
Covid-19-Patienten sind nur eine Minderheit der Intensivpatienten. Die Debatte von Samuel um die Überlastung der Intensivstationen ist daher fragwürdig.
Der Anteil der Covid-19-Patienten an allen Intensivpatienten wird im DIVI-Dashboard ausgewiesen. Er schwankt seit Beginn der Pandemie stark. Im April 2021 ist er auf mehr als 20% gestiegen. Am 29. April lagen in 5015 der bundesweit 23.618 belegten Intensivbetten Covid-19-Patienten, was einen Anteil von 22% ausmacht.
Davon wiederum waren 2917 invasiv beatmet, also 58% der Covid-19-Intensivpatienten. Um Covid-19-Patienten mit schwerem Verlauf behandeln zu können, verschieben Krankenhäuser Operationen, zum Beispiel von Krebspatienten. Dadurch entgehen ihnen Einnahmen. Und diese Einnahmeausfälle können sich die Krankenhäuser seit dem 18. November 2020 vom Bund ersetzen lassen.
Tabellarische Zusammenfassung
April 2020
1. Aug 2020
4. Aug 2020
November (ges.)
9. Nov 2020
18. Nov 2020
4. März 2021
5. Mai 2021
Pflegepersonaluntergrenzen ausgesetzt (um auf Pandemie vorbereitet zu sein)
Untergrenzen wieder eingeführt (weniger Patienten pro Pflegekraft)
Nur noch tatsächlich betreibbare Betten werden erfasst & Notfallreservekapazitäten separat abgefragt (weniger Freie Betten)
Viele Personalausfälle und erhöhter Betreuungsaufwand von Covid-19-Patienten (weniger Freie Betten)
Neue Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung - PpUGV beschlossen (weniger Freie Betten)
Neuer Passus in Kraft getreten (75-prozentige Intensivbettenauslastung)
Kinder-Intensivbetten werden nicht mehr mitgezählt
Krankenhausfinanzierungsgesetz-Grenze auf 50-er Inzidenz gesenkt
Damit lassen sich die Änderungen im Diagramm gut nachvollziehen.
Fazit
Corona zu leugnen ist genauso falsch wie zu behaupten, dass Krankenhäuser sich die Taschen voll machen. Mag sein, dass manche Krankenhäuser etwas knapper bemessen, aber das fällt auf lange Sicht auf und welches Krankenhaus will schon derartige Strafzahlungen riskieren?
Bisher ist kein Fall bekannt in dem Krankenhäuser Statistiken absichtlich gefälscht haben. Samuel Eckert schafft es aber durch sein hetzerisches Video wieder einmal Stimmung unter den Querdenker zu machen. Haltlose Unterstellungen gepaart mit viel Desinformation und fehlendem Wissen über Ausgleichszahlungen. Auch haben sich Fehler in seiner Analyse eingeschlichen.
Nicht jedes Krankenhaus, das eine 75-prozentige Auslastung seiner Intensivstation belegen kann, bekommt solche die Förderzahlungen vom Bund. Ob ein Krankenhaus Ausgleichszahlungen aus dem Gesundheitsfonds beantragen kann, hängt maßgeblich vom Corona-Infektionsgeschehen im jeweiligen Landkreis ab. Nur Krankenhäuser, die von der zuständigen Behörde ihres Bundeslandes aufgrund dieser Kriterien dazu bestimmt werden, können eine Ausgleichszahlung beantragen.
Die Aussage, Krankenhäuser hätten die Zahl ihrer Intensivbetten absichtlich reduziert, um so die Auslastungsquote zu erhöhen, ist schlecht recherchiert. Der Rückgang der betreibbaren Intensivbetten hat mehrere Gründe, vor allem die Tatsache, dass dafür wieder eine Pflegepersonaluntergrenze eingeführt wurde. Außerdem ist im Winter 2020 Pflegepersonal erkrankt, sodass weniger Intensivbetten betrieben werden konnten. Eine dritte Erklärung liegt in der im August 2020 geänderten Erfassung der betreibbaren Intensivbetten. Es gibt also gute Grunde für einen unverfälschten Verlauf. Doch es gibt mit Sicherheit auch Krankenhäuser, die die Situation schamlos ausnutzen. Dies wird sich aber erst in Zukunft zeigen, wenn Berichte bis ins kleinste Detail analysiert werden.
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Astrid (Freitag, 21 Mai 2021 15:21)
Wow wieder ein richtig guter Artikel von dir. Mach weiter so und kläre uns weiter so gut und neutral auf. Eine Schande was dieser Samuel von sich gibt. Hat nur das Geld im Kopf.
Michi (Montag, 24 Mai 2021 20:44)
Hey Curtis, top recherchiert und sehr einleuchtend danke dafür. Seit deinen letzten großartigen Artikel beste Anlaufstelle für neutralen Corona Journalismus. Liebsten Gruß und mach weiter so tolle Arbeit.
Hans Halter (Dienstag, 25 Mai 2021 19:50)
Erstklassiger Artikel der einleuchtet.
Gudrun K (Mittwoch, 26 Mai 2021 21:39)
Schon echt dreist was man manchmal in Zeitungen liest. Dort ist dann die Rede von "schaut euch diese Zahlen an" und "die Bundesregierung zerstört sich selbst". Aber die Journalisten sind einfach zu beschränkt Zahlen richtig zu deuten. Sehr gut wie sachlich du schreibst und richtige Schlüsse ziehst, ohne voreingenommen zu sein. Weiter so, hast eine Leserin mehr.
Veronika (Donnerstag, 27 Mai 2021 18:41)
Dieser Samuel ist einfach nur geldgierig, echt ekelhaft.
Cyrus Valkonen (Donnerstag, 27 Januar 2022 01:32)
Der Artikel beinhaltet ein paar wertvolle Informationen. Diese sind leider in einem endlosen Geschwafel und Meinungsschürerei versteckt, das sehr ermüdend und unnötig ist und den Autor dieses Artikels in ein sehr schlechtes unprofessionelles Licht rückt. Lediglich der Absatz "Tabellarische Zusammenfassung" beinhaltet verwertbare Tatsachen. Der Rest ist eigentlich nur Müll. Das Fazit ist, dass andere Faktoren auch eine Rolle gespielt haben könnten. Der Artikel bietet aber keinerlei Beweiskraft oder Aufschluss darüber, in wie weit das letztendlich in den Abbau der gemeldeten Betten miteingespielt hat. Den kritisierten Artikel habe ich nicht gelesen, denn ich bin bereits aus anderen ausgiebig über den Intensivbettenskandal informiert. Von daher fällt es mir nur auf, dass hier ebenfalls wiedersprüchliche Informationen geliefert werden, um das Problem hinwegzureden. Es mangelt hier definitiv genauso an skeptischer Denkfähigkeit, wie es bei anderen angeprangert wird.
kwoxer (Freitag, 04 Februar 2022 11:28)
Die Wahrheit ist nicht schwarz oder weiß, sondern hat viele Facetten. Solange wie Parameter unbekannt sind oder nicht zu 100% sicher sind, kann auch die Wahrheit sein, dass man nicht genau weiß, was die wahren Gründe sind.
Alles ist besser, als nur in eine Richtung zu gehen. :)